Mini-Serie zur Lesekompetenz: Teil 3 - Einfluss der Technologie mit bewährten Methoden zur Leseförderung steuern
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Dies ist der dritte Artikel einer dreiteiligen Serie, die die Auswirkungen von Technologie, wie Textnachrichten und Instant Messaging, auf die Lesekompetenz untersucht.
Im ersten Teil dieser Serie habe ich darüber gesprochen, wie man potenzielle negative Auswirkungen am besten abmildern kann, und im zweiten Teil habe ich das erste von drei grundlegenden Prinzipien einer effektiven Lese- und Schreibförderung behandelt.
Die drei grundlegenden Prinzipien einer effektiven Lese- und Schreibförderung sind:
1. Strukturierte Interventionen
2. Aktive und generative Nutzung
3. Integration von Fähigkeiten
In diesem Artikel werde ich über „aktive und generative Nutzung“ sowie über „Integration von Fähigkeiten“ sprechen.
Aktive und generative Nutzung
Wir werden in Fähigkeiten besser, wenn wir sie aktiv statt passiv nutzen. Ähnlich wie man das Autofahren nicht lernen kann, indem man nur auf dem Beifahrersitz sitzt – irgendwann muss man selbst ans Steuer. Dies nennt man „aktive“ Nutzung.
Wenn wir Fähigkeiten auf „generative“ Weise anwenden, nehmen wir eine Fertigkeit oder ein Konzept und wenden es in verschiedenen Situationen und Kontexten an (Walsh & Blewitt, 2006). Zum Beispiel lernt man, dass man mit einem bestimmten Buchstaben ein Wort schreiben kann; aber wenn man versteht, wofür dieser Buchstabe steht, kann man ihn auch in anderen Wörtern verwenden.
Die Arbeit an Fähigkeiten wie phonologischem, morphologischem und orthografischem Wissen bildet die Grundlage für eine strukturierte Lese- und Schreibförderung (Henbest & Apel, 2021). Um jedoch kompetent zu werden, benötigen Kinder regelmäßige Gelegenheiten zur „aktiven und generativen“ Nutzung dieser Fähigkeiten.
Viele Kinder kommen mit dem standardisierten Leselehrplan der meisten Schulen gut zurecht – selbst mit dem zunehmenden Bildschirmkonsum und der Nutzung von „SMS-Sprache“.
Einige Kinder benötigen jedoch eine intensivere und direktere Förderung, insbesondere wenn sie in Ihrem Lernverhalten eingeschränkt sind. Obwohl schulische Lehrpläne viele konkrete Lehrstrategien beinhalten, müssen viele Fähigkeiten implizit gelernt werden.
Wenn Fähigkeiten implizit vermittelt werden, bedeutet das, dass Kindern die Fertigkeit nicht direkt erklärt wird. Stattdessen müssen sie sie selbst herausfinden, während sie andere Fähigkeiten üben. Zum Beispiel können sie beim Lesen neue Wortbedeutungen oder die Schreibweise unbekannter Wörter aufnehmen.
Auch beim Schreiben müssen Kinder sich daran erinnern, wie man Wörter schreibt, Sätze zusammensetzt und herausfindet, wie man Wörter schreibt, die sie möglicherweise noch nicht gelernt haben. Diese Herausforderungen fordern sie dazu auf, die erlernten Fähigkeiten anzuwenden – und durch diese Anstrengung werden die Fähigkeiten gestärkt. Ein durchschnittlicher Grundschüler kann jedes Jahr Tausende neuer Wörter lernen, und vieles davon geschieht während dieser anspruchsvollen Lese- und Schreibaufgaben (Kucan, 2012).
Kinder lernen den ganzen Tag über implizit, was eine gute Sache ist, denn Lehrer können unmöglich jede einzelne Fähigkeit explizit unterrichten.
Für Schüler mit einer Beeinträchtigung wie Legasthenie ist es jedoch viel schwieriger, Sprachfähigkeiten implizit zu erlernen (wie phonologische, morphologische oder orthografische Informationen). Sie benötigen oft eine viel strukturiertere Anleitung, bevor sie selbstständig zur „aktiven“ und „generativen“ Nutzung übergehen können (Bahr et al., 2020). Das bedeutet, dass sie häufig Unterstützung beim Übergang zu schwierigeren Anwendungssituationen brauchen. Beispielsweise können sie nicht einfach ein Wort buchstabieren und es dann sofort in einem Aufsatz verwenden, sondern benötigen zusätzliche Übung mit dem Schreibmuster – sei es Wort für Wort oder in einzelnen Sätzen.
Sobald Kinder jedoch anfangen, Lese- und Schreibkonzepte zu verstehen, sind viele Übungsmöglichkeiten entscheidend, um diese Fähigkeiten zu festigen.
Man kann es sich wie einen Muskel vorstellen, der durch wiederholtes Anspannen stärker wird. Da nun Technologie ins Spiel kommt, müssen wir sicherstellen, dass Kinder die richtigen „Muskeln“ trainieren. Phonologie und Orthografie können zwar bis zu einem gewissen Grad auch mit digitalen Geräten geübt werden, doch einige grundlegende Fertigkeiten lassen sich effektiver mit Stift und Papier trainieren.
Wenn man ein Wort mit Stift und Papier schreibt, gibt es kein Gerät, das den Rest des Wortes nach ein paar Buchstaben vervollständigt. Stattdessen muss man sich die Laute des Wortes bewusst machen, an die geschriebenen Symbole denken und diese dann selbst erzeugen. Das erfordert viel mehr Aufmerksamkeit und Anstrengung – und ist daher wesentlich „aktiver und generativer“.
Überspringt man diesen Lernprozess durch den sofortigen Einsatz von Technologie, beraubt man sich der Möglichkeit, die Fertigkeiten wirklich zu erlernen.
Zusätzlich erfordern Technologien wie Rechtschreibprüfung und Autokorrektur bereits ein gewisses Maß an Lese- und Rechtschreibfähigkeiten, um sie effektiv nutzen zu können.
Wenn wir versuchen, die anfängliche „Anstrengung“ mit Stift und Papier zu vermeiden, verlängern wir möglicherweise unbeabsichtigt die Verzögerung, weil wir eine entscheidende Lernmöglichkeit ausgelassen haben.
Mit der Zeit wird das Buchstabieren und Lesen einfacher, da das Gehirn die geschriebenen Symbole schneller verarbeiten kann.
Das ist im Wesentlichen das, was passiert, wenn Wörter zu „Sichtwörtern“ werden. Dein Gehirn hat den Prozess des Denkens über die Buchstaben und Laute eines bestimmten Wortes so oft durchlaufen, dass du die geschriebenen Symbole verarbeiten, sie mit den entsprechenden Lauten verknüpfen, sie alle zusammenfügen und das Wort als eine sinnvolle Einheit erkennen kannst.
Es scheint nur so, als hätten wir es „auswendig gelernt“, weil der Prozess flüssig geworden ist – das liegt daran, dass wir eine Automatisierung entwickelt haben. Genau das muss geschehen, damit wir Automatisierung beim Lesen und Schreiben erreichen.
Begrenzte Übungsmöglichkeiten führen zu weniger Automatisierung, und die zu frühe und zu häufige Nutzung von digitalen Geräten kann die Gelegenheiten einschränken, die Kinder haben, um grundlegende Rechtschreibfähigkeiten zu üben.
Beim Thema Morphologie kann dasselbe Problem auftreten. Technisch gesehen gibt es zwar die Möglichkeit, diese Fähigkeiten anzuwenden, aber die Regeln werden dabei etwas unscharf. Man kann sie umgehen und vermeiden, die morphologischen Fähigkeiten wirklich anzuwenden, die man benötigt, um einen Text zu lesen, eine Hausarbeit zu schreiben oder eine professionelle E-Mail zu verfassen.
Zum Beispiel besteht das Wort „Zuhause“ aus zwei Morphemen: „zu“ und „hause“. Beide sind für Kinder äußerst wertvoll zu kennen, weil sie auch in anderen Wörtern verwendet werden können. Wenn ein Kind weiß, wie man „hause“ im Wort „Zuhause“ schreibt, kann es sich diese Schreibweise auch für andere Wörter merken.
Kinder mit starken Sprachfähigkeiten können oft problemlos zwischen „Text“-Schreibweisen und korrekten Schreibweisen wechseln. Sie haben möglicherweise auch genug Übung mit den Fähigkeiten, sodass sie diese gefestigt haben und keine weiteren Gelegenheiten benötigen, sie anzuwenden. Für Kinder, die Schwierigkeiten haben, kann dieser Übergang jedoch schwieriger sein (Fallon & Katz, 2020).
Aus diesem Grund benötigen sie häufig extra Training von grundlegenden Fähigkeiten, die ich hier beschreibe.
Integration von Fähigkeiten
Bei phonologischen, morphologischen und orthografischen Fähigkeiten arbeitet man nie wirklich nur an EINER Fähigkeit zur selben Zeit; sie beeinflussen sich gegenseitig, und man kann sie nicht immer isolieren.
Zum Beispiel muss man, wenn man über Morphologie spricht, auch darüber nachdenken, wie Wörter geschrieben werden – man arbeitet also gleichzeitig an der Orthografie. Wenn man sich bei der Morphologie auf die Schreibweise von Wortbestandteilen konzentriert, muss man auch an die einzelnen Buchstaben und Laute denken – somit beschäftigt man sich gleichzeitig mit Orthografie und Phonologie (Kucan, 2012).
Allerdings geschieht die „Integration“ nicht in allen Kontexten auf die gleiche Weise. Zum Beispiel erfordert das Schreiben mit der Hand andere Fähigkeiten als das Tippen. Beim Schreiben muss man Buchstaben formen können, während man beim Tippen Tastaturfähigkeiten benötigt.
Durch digitale Geräte sind viele Barrierefreiheitsfunktionen entstanden, die Menschen mit Behinderungen zahlreiche Möglichkeiten eröffnet haben. Zum Beispiel ermöglicht das Schreiben von Textnachrichten gehörlosen Menschen eine barrierefreie Kommunikation. Vorlesefunktionen ermöglichen es, dass Texte laut vorgelesen werden, sodass sie als Unterstützung genutzt werden können. Zudem gibt es die Möglichkeit der Sprachdiktierfunktion, mit der Nachrichten per Spracheingabe erfasst werden können – so kann man Rechtschreibung und Tippen unter bestimmten Umständen sogar vollständig umgehen.
All das sind positive Entwicklungen, da sie neue Möglichkeiten zur Vernetzung schaffen. Eine der besten Erfindungen (meiner Meinung nach) ist das Hörbuch. Hörbücher ermöglichen es nicht nur, Bücher beim Autofahren, Spazierengehen oder Kochen zu hören, sondern auch, dass Leser mit Schwierigkeiten unabhängig Bücher genießen können, die über ihrem eigentlichen Lesenniveau liegen. Dadurch kommen sie mit sprachlichen Strukturen in Kontakt, denen sie sonst möglicherweise nicht begegnet wären.
Durch das Schreiben von Textnachrichten (und digitale Geräte allgemein) gibt es Funktionen wie Autokorrektur und Wortvorhersage. Einerseits kann das die Tippgeschwindigkeit erhöhen. Andererseits hat man oft nicht die Gelegenheit, bewusst über die Rechtschreibung eines Wortes nachzudenken. Dadurch entfällt ein Teil des „aktiven“ Prozesses, den man beim physischen Schreiben eines Wortes durchläuft – somit müssen die Fähigkeiten nicht in der gleichen Weise integriert werden, wie es ohne diese Funktionen der Fall wäre. Dennoch bleibt das Überarbeiten und Korrekturlesen weiterhin notwendig, und dafür sind starke Lese- und Rechtschreibfähigkeiten erforderlich. Deshalb sollte man den Leseunterricht nicht vernachlässigen, nur weil es technologische Hilfsmittel gibt.
Wenn man zudem die informellen Grammatikregeln beim Schreiben von Textnachrichten und die Nutzung von Abkürzungen berücksichtigt, findet auch hier keine vollständige Integration der morphologischen Fähigkeiten statt.
Ein weiteres Problem mit digitalen Geräten (insbesondere Smartphones) ist, dass viele Apps so konzipiert sind, dass sie süchtig machen. Das bedeutet, dass man sein Handy vielleicht nur kurz in die Hand nimmt, um einem Freund eine Nachricht zu schreiben – und dann in einer Flut von Benachrichtigungen versinkt. Dadurch kann wertvolle Zeit verloren gehen, die man für produktivere Aktivitäten hätte nutzen können.
Fazit
Was bedeutet das alles für uns? Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir – nun, da wir mit einer Fülle neuer Technologien konfrontiert sind – nicht vergessen dürfen, bewährte Methoden zur Entwicklung grundlegender Lese- und Schreibfähigkeiten beizubehalten.
Deshalb habe ich einen Leitfaden für Sprachtherapeut:innen entwickelt. Dieser wurde zwar speziell für die Sprachtherapie entwickelt, doch auch Lehrer und Eltern haben ihn als nützlich empfunden.
Wenn ich Sprachtherapeut:innen betreue, betone ich besonders die Bedeutung der Morphologie. Gleichzeitig lege ich großen Wert auf die Orthografie, weil sie eng damit verknüpft ist – und oft übersehen wird. Im stelle ich die grundlegenden Bausteine bereit, die man benötigt, um gezielt mit Kindern an beiden Bereichen zu arbeiten.
Wenn Menschen erst einmal erkennen, wie wichtig diese Fähigkeiten sind, suchen sie oft nach einem komplexen Lehrplan oder einer starren Hierarchie. Natürlich kann man eine Hierarchie aufbauen, wenn man an Morphologie arbeitet, aber es gibt keine „perfekte“ Reihenfolge, um mit Morphemen zu beginnen. Man kann mit einigen einfachen Methoden wie dieser und einer Liste verschiedener Morpheme bereits große Fortschritte erzielen. Genau deshalb ist dieses Toolkit für Schüler vom frühen Grundschulalter bis hin zur Oberstufe geeignet. Bei jüngeren Kindern kann man zunächst mit einigen wenigen, häufig vorkommenden Mustern aus dem Toolkit beginnen.
Hier erfahren Sie mehr über den Leitfaden.
Dr. Karen Dudek-Brannan ist die Gründerin und Inhaberin von Dr. Karen, LLC, einem Unternehmen, das Therapeut:innen und Pädagog:innen dabei unterstützt, Interventionen zur Förderung von Sprache, Lesekompetenz und exekutiven Funktionen zu entwickeln. Sie hat einen Doktortitel in Sonderpädagogik sowie Qualifikationen als Direktorin für Sonderpädagogik und Assistive Technologie an der Illinois State University. Darüber hinaus hat sie dort ihren Master- und Bachelorabschluss in Sprachtherapie erworben. Sie hat 14 Jahre im Schulsystem gearbeitet und war in verschiedenen Führungspositionen sowie in der Hochschullehre tätig, wo sie Fachkräfte betreute und ausbildete. Zudem leitet sie den De Facto Leaders Podcast, in dem sie evidenzbasierte Ansätze, persönliche Erfahrungen und Experteninterviews zu Themen der Bildungs- und Gesundheitsreform teilt. Aktuell hat sie eine Managementposition beim Illinois Department of Children and Family Services inne.
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Literaturverweise